Die Motorik hakt, der Kopf macht dicht

Der Eschweiler Kanu Club betreibt eine spektakuläre Sportart? Ja klar und wir haben Carsten Rose, Volontäre der Aachener Zeitung, nominiert uns zu begleiten – und er ist mit seinem Kamerateam gekommen.

Kanufahren im Selbstversuch: Die Motorik hakt, der Kopf macht dicht
Von: Carsten Rose
April 2015, 07:13 Uhr

2015-04-20 AZ beim Training

Ein Blick und eine Haltung, die einen ganzen Abend charakterisieren – Volontär Carsten Rose versucht sich beim Eschweiler Kanu Club. Seine Aufgabe: sich aus eigener Kraft und mit der richtigen Technik aus der Schief- und Unterwasserlage wieder aufzurichten. Foto: Screenshot Königs

Video dazu leider mit kurzer Werbung

AACHEN. Das rote Kanu des Typs Prijon S Pure liegt an wie eine hautenge Jeans. Nur verursacht mir die gut 2,5 Meter lange Hartplastikschale auf Dauer drückende Schmerzen an den Oberschenkeln, an den Füßen, im Rumpf. Irgendwie absurd: Ich nehme Schmerzen auf mich, um andere Schmerzen vielleicht irgendwann mal vermeiden zu können. Im Gesicht – verursacht von Steinen und Felsen.

Der Eschweiler Kanu Club (EKC) hat mich eingeladen, eine wichtige Grundlage eines Wildwasser-Kanuten zu erlernen: die eigenständige Eskimorolle. Die ist nötig, sollte man flussabwärts mal kopfüber fahren. Koordination, Beweglich- und Geschmeidigkeit waren gefragt. Ich habe jedoch gezeigt, dass ich eher unbiegsam wie ein Paddel bin. Dabei bin ich anfangs im Trockenen mit der Tutu-ähnlichen Spritzdecke um meine Hüfte, die Abdeckung für die Kanuluke, ansatzweise filigran dahergekommen. Es war ein Kampf gegen die eigene Motorik, der mit einem vorläufigen „Schweden-Verbot“ endete.

Nach den ersten Metern und behäbigen Wendemanövern im Kanu muss ich eingestehen, dass es hochmütig war, vor der Einheit nach einer Partie Kanu-Polo zu fragen. Es hätte in einer Schmach geendet. Das Paddel schulterbreit zu packen, immer mit dem richtigen Druck und Abstand zum Kanu ins Wasser zu stechen, um geradeaus zu fahren, gelingt mir selten. Die verdutzte Frage „Kannst du wirklich nicht paddeln?“ eines jungen EKC-Kanuten beendet meine Ambitionen endgültig. Als ich vorm Beckenrand scharf wenden will, ecke ich an – binnen Zehntelsekunden drehe ich mich um 180 Grad. So schnell, wie ich gekentert bin, bin ich wieder über Wasser. Wow, wie habe ich das hinbekommen? Die Antwort: gar nicht. Pascal Rzehak, Übungsleiter beim EKC, hat seine Hände an meinem Kanu. Das Training beginnt.

Mit Naturgewalt umgehen
Pascal Rzehak ist 25 Jahre alt und hauptberuflich Schmiedemeister. Er fährt seit 13 Jahren Kanu und ist seit neustem Sportwart im Eschweiler Kanu Club. Jung – selbst Kleinkinder – und Alt treffen sich jeden Donnerstag in der kleinen Schwimmhalle in Aachen-Forst, um zu üben oder einfach locker zu paddeln. Das EKC-Bootshaus liegt in Obermaubach. Zwischen Heimbach und Obermaubach auf der Rur liegt die Heimstrecke der Kanuten. Der EKC legt großen Wert auf Jugendarbeit und bietet europaweit jährlich Wander- und Wildwassertouren an. Andere zu trainieren, sein Wissen weiterzugeben, sagt Pascal, mache einen großen Teil seines Hobbys aus. Er schätzt, dass er zwischen 5000 und 8000 Kilometer in seinem Leben gefahren ist.

„Es macht auch großen Spaß, mit der Naturgewalt Wasser umzugehen. Wirklich damit umgehen können, nicht beherrschen.“ Immer schwereres Wildwasser fahren, immer an die eigenen Grenzen gehen, das ist Pascals Ding. Ein Kanute misst seine Fähigkeiten in den Wildwasserstufen eins bis sechs, die aber in jedem Land anders berechnet werden. „Ich bin knapp bei der Fünf, denke ich.“ Das heißt: Steine, Felsen, starke Strömung, für viele nicht fahrbar. Meine Bedingungen: 90 Zentimeter Wassertiefe, minimale Wellen, gefühlte 20 Grad.

Während der ersten Übung soll ich, sobald ich unter Wasser bin, die Spritzdecke abziehen und mich mit einem Purzelbaum nach vorne „befreien“. Ich tauche schnell auf, nur hätte ich mich in der Natur böse verletzen können: Ich habe gestreckt den „Hinterausgang“ genommen, mit Blickrichtung Beckenboden. „Im Fluss steigt man vorne aus, damit der Helm zum Grund zeigt, und nicht das Gesicht.“ Ich muss zugeben, Steine habe ich ungern im Gesicht. Mir ist klar: Konzentration und einstudierte Bewegungen sind grundlegend für die folgenden Aufgaben.

Beim dritten Versuch habe ich es annähernd richtig gemacht. Bei Übung Nummer zwei soll ich kopfüber so lange wie möglich die Luft anhalten, um Panik im Ernstfall vorzubeugen. Auch hier habe ich mich zweimal automatisch parallel zum Boot nach hinten gestreckt, anstatt die Bootunterseite anzuschauen. Die nächsten beiden Übungen zeigen mir endgültig die Grenzen auf. Kopf, Koordination, Muskeln – alles streikt. Ich soll mich zur Seite gestreckt mit dem Kopf halb unter Wasser und auf die Schulter gelegt am Beckenrand festhalten, das Boot ist gekippt. Allein mit einer Hüftbewegung soll ich das Kanu aufrichten, dann den Körper und zum Schluss den Kopf aus dem Wasser heben.

„Das haut rein“
„Das Schwerste zum Schluss, sonst liegt der Körperschwerpunkt falsch“, erklärt Pascal. Ohne Pascals Eingreifen würde ich wohl heute noch hilflos im Wasser liegen. Meine Motorik habe ich einfach nicht im Griff. Ich drücke mich so fest in das Kanu, dass ich mich mehr auf die Schmerzen als auf meine eigentliche Bewegung konzentriere. Eine Trockenübung neben dem Becken beschert mir obendrein noch Gelächter einiger EKC-Mädels. Danach ist Ende. Für mich. Dass die „richtige“ Übung noch folgen soll, blende ich ungewollt aus. Der Akku ist nach nicht mal einer Stunde leer.

„Das ist ein muskuläres Ding“, muntert mich Pascal in der Nachbesprechung auf. „Man braucht die selten benutzten Muskeln im Rumpf und im äußeren Bauch. Dazu kommt die Koordination, der Knick in der Hüfte – das haut rein.“ Ab 20 Jahren, sagt er weiter, sei es schwierig, die Rolle schnell zu lernen. Man mache sich zu viele Gedanken. Bei den 13- bis 16-Jährigen klappe es auch mal nach einer Stunde, im Schnitt seien es weniger als zehn. Und wie lange hat er selbst gebraucht? „Lange – nach zwei Jahren erst sicher im Bach.“